… Rettungsanker ‚Einkaufserlebnis‘?
Früher waren Filialen und Niederlassungen im Geschäft mit Privatkunden Ausdruck von Kundennähe, die Erfolg versprach. Durch das Voranschreiten von eCommerce werden sie mitunter zum Ballast, der Unternehmenskrisen verursachen oder verschärfen kann. Beate Uhse ist im Einzelhandel nur das bis dato letzte renommierte Glied einer langen Kette von Sanierungsfällen, zu denen hier in Deutschland eine Reihe von Textilhändlern wie Wöhrl, Promod, Pohland, Strenesse, Wehmeyer, aber auch andere Filialisten zählen.
So wurde erst vor einigen Tagen ein internes vertrauliches Papier an die Presse gegeben, in dem die ausgeprägte Ertragskrise bei Kaufhof beschrieben wird. So berichten SPIEGEL und MANAGER MAGAZIN, dass der Kaufhof – dem vertraulichen internen Bericht zufolge – ohne drastische Sanierungsmaßnahmen in der substanziellen wirtschaftlichen Notlage verbleiben wird, in der er sich befindet. In einem „worst case-Szenario“ wird die Zahlungsunfähigkeit des Kaufhof als möglich eingeschätzt. Die Lebensälteren unter uns haben mitunter schon erlebt, dass derartige „worst case-Szenarien“ gelegentlich in überschaubarer Zeit in reale Abläufe übergehen.
Viele Einzelhändler sehen sich – in individuell verschieden ausgeprägter Weise – der existentiellen Herausforderung ausgesetzt, die nachgebenden Filialumsätze durch Angebote des Online-Handels auszugleichen, bei zugleich verschärftem Wettbewerb zwischen den traditionellen Anbietern und mit zusätzlichen Wettbewerbern, deren Geschäftsmodelle digital ausgestaltet sind. Aber auch die Verlängerung der supply chain von Markenherstellern, die in ihren eigenen Markenshops direkt an die Endkunden verkaufen, verschärft den Wettbewerb der originären Einzelhändler.
Die theoretische Problemlösung für den Einzelhandel klingt – stark vereinfacht – recht verständlich: Es gilt, die individuelle Lösung dafür zu finden, den Bedürfnissen der vorhandenen Kunden sowie der potentiellen Kunden mit einer entsprechenden Ausgestaltung des Mix‘ zwischen Online-Handel und Erfüllung des Kundenbedürfnisses nach ‚Einkaufserlebnis‘ – der Einkauf, eingebettet in eine gelungene Freizeitgestaltung in städtischem Umfeld – zu begegnen. Am point-of-sale gilt es, Erlebnisse zu schaffen, die über die Bereitstellung und den Verkauf von Waren hinausgehen.
Es ist zweifellos komplex und nicht einfach zu lösen, diese Grundausrichtung z.B. für den Kaufhof oder auch für einzelne Textilhändler umzusetzen. Möglicherweise besteht der Weg zurück in die Wirtschaftlichkeit auch für einzelne Filialisten darin, sich aus der Fläche zurückzuziehen und sich stärker auf eCommerce zu fokussieren. Wenn Beate Uhse heute in der Presse (s. Finance Magazin vom 06.04.2018, mit Bezug auf die WirtschaftsWoche) erkennen läßt, dass von den derzeit noch 345 Beschäftigten nur rd. 150 Mitarbeiter weiterbeschäftigt werden sollen, dann wird dieser Personalabbau nicht vor den Filialen Halt machen.
Doch sehen wir am Beispiel von KARSTADT, der jüngst seine Rückkehr in die Gewinnzone vermeldete, dass es auch anders gehen kann.
Auch wenn Lösungen selten darin bestehen, Vorhandenes unreflektiert zu kopieren, so lohnt es doch, sich mit der folgenden Frage zu beschäftigen: Was können wir von Unternehmertum lernen, wie es sich im Kleinen z.B. im Hamburger Schanzenviertel zeigt, wo das Schuh-/ Weingeschäft „Scarpovino“ angesiedelt ist, in dem sich höherwertiges Schuhwerk bei ausgesuchten Weinen aussuchen läßt? Damit der gelungene Einkauf von Schuhen und Weinen dann auch angemessen gewürdigt wird, bietet sich im Anschluß an den Einkauf ein Essen in dem Restaurant an, das gleich über der Filiale zu finden ist. Das ist sicherlich kein Beispiel für den kleinen Geldbeutel, doch ist es eine individuelle Antwort auf folgende Kernfragen:
• Welche Anforderungen haben meine Kunden?
• Welche ihrer Probleme kann ich lösen oder mildern?
• Welche latenten Kundenwünsche gibt es und wie kann ich ihnen durch ein passendes Warenangebot begegnen?
Möglicherweise läßt sich für den einen oder anderen größeren Filialisten in einem Brainstorming eine individuelle Lösung entwickeln, die Antworten auf die vorgenannten Kernfragen beinhaltet.
Königswinter, im April 2018
Dr. Ralf Holz